Die Frage nach dem Mindset

Schon seit vielen Jahren wird in der agilen Community darüber diskutiert, ob es so etwas wie ein „passendes“ Mindset für agiles Arbeiten gibt und wie man es entwickelt. Und natürlich ist es schwierig hier mit Stempeln zu arbeiten oder in die Persönlichkeitsentwicklung von Mitarbeitenden einzugreifen. Wir gehen in dieser Folge dem agilen Mindset deshalb wissenschaftlich auf den Grund. Zu Gast ist Dr. Karen Eilers, die seit vielen Jahren an der Uni Kassel hierzu forscht und inzwischen das Institut für Transformation in Hamburg leitet.

Und dann geht es halt nicht darum, okay, ihr habt nicht das richtige Mindset und wir polieren jetzt euer Mindset auf, sondern die (Teams) identifizieren für sich einfach Hürden, die sie davon abhalten, ihr Mindset in ihr Verhalten zu übertragen und zu zeigen.

In der wissenschaftlichen Forschung findet das agile Mindset wohl 2008 das erste Mal Erwähnung. Seitdem wächst die Anzahl der jährlich publizierten Studien, die das agile Mindset aufgreifen. Auf Basis dieser bisherigen Erkenntnisse, sowie vertiefenden Interviews, Workshops und mehreren statistischen Studien konnte Dr. Karen Eilers in Zusammenarbeit mit Christoph Peters, Benedikt Simmert und vielen Weiteren das agile Mindset greifbarer und messbarer machen. Das Team hat eine Future-Organisation-Report-Reihe aufgebaut, in deren Rahmen Software Entwicklungsteams in Unternehmen analysiert wurden, um Best Practices und Muster zu finden. Zentrale Forschungsfragen waren:

  • Welche Methoden, welche Prozesse, welche Führungsaspekte werden in agilen Teams integriert?
  • Wann funktionieren agile Transformationen sehr gut und wann scheitern sie?
  • Was sind Risikofaktoren für das Scheitern einer agilen Transformation?

Tatsächlich wird das agile Mindset häufig genannt, wenn es um Scheitergeschichten geht. Und in diesem Kontext fällt dann auch oft der Satz: „Die (Kollegen) hatten eben nicht das richtige Mindset.“ Ich suche also nach einer Entschuldigung dafür, warum bestimmte Projekte oder Initiativen gescheitert sind und schreibe das mehr den Personen zu, als den Rahmenbedingungen. Denn die Rahmenbedingungen, die könnte ich ja häufig auch gestalten.

4 Dimensionen des agilen Mindsets

Schon während der ersten fünf Interviews, konnten Karen und das Forscherteam sehr schnell feststellen, dass immer wieder ähnliche Nennungen bei der eigenen, persönlichen Beschreibung des agilen Mindsets auftauchten. Schnell wurde das agile Mindset als eine Einstellung identifiziert. Wie ich also Dinge bewerte (positiv oder negativ). Dabei kristallisierten sich 4 Dimensionen oder Kernbereiche heraus, die dieses umschreiben:

  • Learning Spirit (Lernorientierung)
  • Collaborative Exchange (Kollaborativer Austausch),
  • Customer Co-Creation (Kunden Ko-Kreation) und
  • Empowerd Self-Guidance (Selbstorganisation)
4 Dimensionen des agilen Mindsets (Dr. Karen Eilers | teamworkblog.de)

Learning Spirit

Die erste Dimension stellt eine Form von Lernorientierung dar. Menschen, die hier eine hohe Ausprägung haben, genießen sich immer wieder nach neuen Impulsen umzuschauen. Sie begeben sich gerne in neue, unbekannte Situationen, um daraus für ihre Arbeit zu lernen. Und sie können auch gut damit umgehen, dass sie zum Beispiel am Anfang nicht alles wissen, und sozusagen die Daten und Fakten noch nicht auf dem Tisch liegen. Sie können also den Umgang mit Ungewissheit aushalten. Diese Menschen sehen ein Wert da drin, einfach mal anzufangen und in diesem Prozess zu lernen.

Collaborative Exchange

Menschen, die hier eine hohe Ausprägung haben, zeigen sich gerne transparent in ihrer Arbeit und zu ihren Arbeitsprozessen. Sie sprechen gerne offen, auch über ihre Hürden, ihre Fehler und (inneren) Kämpfe. Diese Menschen genießen es in einen authentischen Austausch zu gehen, auch um Andere in die Lösung der Herausforderung mit einzubeziehen. Also die Energie und Kreativität der Vielen zu nutzen um gemeinsam voran zu kommen.

Customer Co-Creation

Hierzu erhalten Menschen eine hohe Ausprägung, die gerne den Wert für den Kunden in ihrem Hinterkopf haben und hierfür den nächsten wertvollen Schritt gehen möchten. Sie haben nicht nur ihre Zielgruppe oder Kunden im Blick, sondern beziehen diese auch gerne in die Umsetzung oder Weiterentwicklung mit ein.

Empowerd Self-Guidance

Die vierte Dimension lässt sich am ehesten mit Selbstorganisation umschreiben. Das sind Menschen – nicht nur Mitarbeiter, auch Führungskräfte – die es genießen ihre Freiheit zu nutzen um Dinge mitgestalten zu können oder auch den Weg zum Ziel selber bestimmen zu können. Menschen, die hier eine hohe Ausprägung haben, übernehmen gerne die Verantwortung für ihre Arbeit und auch für ihre Ergebnisse. Es sind Menschen, die gerne reflektieren und versuchen, andere neue Wege zu finden. Selbstführung passt hier als Begriff auch ganz gut.

 

Wir haben dann gesagt, okay, wir müssen da irgendwie noch ein Messinstrument zu entwickeln um das noch ein bisschen greifbarer zu machen. […] Das sind  zwölf Statements, die werden dann bewertet von trifft voll und ganz zu, bis trifft überhaupt nicht zu. Und ich lasse sie dreimal bewerten. Und zwar einmal, wie wichtig ist das für deine Tätigkeit? Zweitens, das ist die eigentliche Einstellung, wie stehe ich dazu? Was sehe ich da drin für einen Wert? Und drittens, wie häufig transferiere ich das direkt schon in mein Verhalten?

Wie kann ich ein agiles Mindset fördern?

Die spannendste Frage, die sich am Ende des Interviews mir stellte, ist die nach der Förderung des agilen Mindsets innerhalb (m)eines Teams. Karen Eilers erzählt, dass sie anhand ihrer Forschungen drei Cluster gefunden haben, woran angesetzt werden kann:

  1. Wissensimpulse
  2. Arbeitsdesign
  3. Führung

Wissensimpulse

„Nur wenn ich ein bestimmtes Grundwissen zu etwas habe, kann ich mich für etwas interessieren. Und wenn ich Wissen zu etwas habe und auch wenn ich anfange, mich für etwas zu interessieren, dann kann ich natürlich auch ganz anders mitwirken, ganz anders partizipieren.“, sagt Karen im Interview. Zu Wissensimpulse zählt sie klassische Formate wie Trainings oder Coachings Aber auch digitale Lernquellen, wie Online-Kurse oder Podcasts. Ebenfalls betont sie Austauschformate mit anderen KollegInnen oder Teams zu z.B. Hürden oder Stolpersteinen. Formate, wie Barcamps oder Meetups, die die eigene Erlebniswelt mit der Welt da draußen verbinden, können hierbei zusätzlich Inspirationsquelle sein und Erfahrungsräume für ein anderes Vorgehen oder eine andere Art der Zusammenarbeit bieten. Karen betont, damit Menschen eine Einstellung entwickeln können, müssen sie in Berührung damit gekommen sein und positive Erfahrungen machen. 

Arbeitsdesign

Dr. Karen Eilers fasst hier drunter agile Arbeitsstrukturen und Prinzipien, die ein „doing agile“ ermöglichen. Also z.B.

  • Habe ich irgendwelche Möglichkeiten, meine Arbeit zu reflektieren?
  • Habe ich die Möglichkeit, die Erreichung eines Ziels selber zu bestimmen? Gibt es dazu Formate?
  • Kann ich irgendwie partizipieren in Unternehmensgestaltung oder Organisationsentwicklung?

Führung

Karen Eiler betont im Interview die Bedeutung der Führung im agilen Kontext. Dinge, die hier betrachtet werden können:

  • Inwiefern tritt die Führungskraft eben auch hinter dem Team zurück?
  • Wie geht die Führungskraft zum Beispiel mit Fehlern um? Gerade wenn wir experimentieren und lernend vorangehen.
  • Wie lernt die Führungskraft von anderen und wie teilt sie ihr Wissen mit anderen?
  • In welcher Form arbeitet die Führungskraft selbst an ihrem Mindset/ ihrer Entwicklung?

Karen hat hierzu einem wichtigen Impuls, den sie mitgeben möchte: Start with yourself!

Das bedeutet die eigene Entwicklung unbedingt in den Fokus zu nehmen und nicht (nur) auf die Mitarbeitenden zu schauen. Und wie gelingt das am besten? Karen Eilers ermutigt Führungskräfte dazu, sich einen Lern-Buddy oder Feedbackgeber zu suchen, um sich immer wieder zu „challengen“. Sie empfiehlt kontinuierlich neue Dinge auszuprobieren um aus der Komfortzone herauszutreten und positive Veränderungen selbst zu erleben.

Abschließend betont Karen, wie wichtig es ist, als Führungskraft offen über eigene Entwicklung und persönliche Herausforderungen zu sprechen, also die  eigene Verletzlichkeit zu zeigen. So kann man selbst auch als Vorbild für das Team dienen.

Ich danke Karen sehr für so viele Dinge, die ich in diesem Interview zum agilen Mindset lernen durfte und in meine Praxis übernehmen werde. Anbei finden sich noch weitere Infos und Links für alle, die das Thema noch vertiefen wollen.

Weitere Infos und Links:

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